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von Beate Kraml, AIZ und Martin Hirt, LKÖ
Kaum ein Thema hat es in den vergangenen Jahren so häufig in Fachzeitschriften, Messeprogramme und Veranstaltungen geschafft wie die „Landwirtschaft 4.0“. Es lohnt sich daher, Bilanz zu ziehen und den aktuellen Stand der Digitalisierung in der österreichischen Landwirtschaft zu betrachten. Die Land- und Forstwirtschaft ist seit jeher ständigen Veränderungen im wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Umfeld unterworfen. Speziell die Digitalisierung hat unserer Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftswelt viele neue Möglichkeiten eröffnet. In der landwirtschaftlichen Urproduktion wird dieser „Megatrend“ auf unterschiedliche Weise sichtbar: Traktoren werden automatisch über GNSS Spurführung zentimetergenau gelenkt, Drohnen erzeugen mithilfe von Multispektralkameras wertvolle Daten zu Vegetationsfortschritt oder Pflanzengesundheit und Pansensensoren liefern sekundenaktuell Infos zur Brunstfähigkeit von Milchkühen.
Landwirte stehen Digitalisierung positiv gegenüber
Zwar hinkt Österreich beim Einsatz modernster Landtechnik im internationalen Vergleich aufgrund seiner Agrarstruktur traditionell etwas hinterher. Dennoch behelfen sich heimische Betriebsführer einer Vielzahl digitaler Tools und Anwendungen. Eine im Jahr 2021 durchgeführte, breitangelegte und vom LFI Österreich in Auftrag gegebene Umfrage des Marktforschungsunternehmens KeyQUEST untersuchte die tatsächliche Nutzung, die mittelfristige Nutzungsabsicht sowie die persönliche Einstellung gegenüber der Digitalisierung unter österreichischen Landwirten. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die Betriebsleiter „positiv-pragmatisch“ gegenüber neuen Technologien eingestellt sind. 43 Prozent gaben an, diese positiv oder eher positiv zu sehen. Weitere 46 Prozent vertreten eine neutrale Position. Nur ein Zehntel der Befragten zeigt sich skeptisch. Damit wird zwar eine positive Grundeinstellung, aber gleichzeitig keine übertriebene Euphorie erkennbar. Frei nach dem Motto: „Wenn mir die Technologie einen Nutzen verschafft, und mir am Ende des Tages mehr bringt als sie mir kostet: Warum nicht?“ Von grundsätzlicher Innovationsskepsis unter österreichischen Bauern kann jedenfalls keine Rede sein.
Großes Marktpotenzial von digitaler Produktionstechnik
Neben den eingangs erwähnten und in der allgemeinen Debatte oft genannten Beispiel-Technologien gibt es eine Reihe von smarten, digitalen Helferleins, die in Österreich durchwegs breitflächig eingesetzt werden. Laut der Umfrage weisen vor allem Anwendungen im Bereich der Betriebsführung wie digitale Lösungen zur Dokumentation gegenüber Behörden (70 Prozent), Messenger- Dienste zum beruflichen Austausch (70 Prozent) und der Pflanzenschutz-Warndienst bzw. Agrarwetterdienste (65 Prozent) eine sehr hohe Nutzungsquote auf. „Precision Farming“-Technologien werden hingegen aufgrund ihres eher investitionsintensiveren Charakters noch weniger häufiger eingesetzt: Automatische Spurführungssysteme (24 Prozent der Acker- und Gemüsebaubetriebe), Teilbreiten- oder Einzeldüsenabschaltung (26 Prozent der Acker- und Gemüsebaubetriebe) sowie automatisierte Fütterungstechniken (23 Prozent der Tierhaltungsbetriebe) liegen im vorderen Bereich des Rankings. Beachtenswert ist aber das große Interesse österreichsicher Betriebsleiter, in den kommenden Jahren in derartige Technologien einzusteigen. Die Zahl jener, die in den kommenden drei bis fünf Jahren eine Anschaffung in diese genannten Techniken planen, ist in etwa ebenso groß wie die derzeitige Nutzungsrate. Das weist auf ein großes Marktpotenzial von digitaler Produktionstechnik hin.
Meist wird vorhandene Technik mit digitalen Elementen ergänzt
Generell geht es bei Precision Farming-Technologien darum, auf Basis von Daten unterschiedlicher Quellen (Sensoren, Satelliten, GIS-Datenbanken etc.) die Produktionsweise spezifisch auf die jeweiligen Verhältnisse anzupassen – egal ob im Ackerbau, in der Tierhaltung, in Sonderkulturen oder im Forst. Für die Praxis entstanden dabei in den letzten Jahren eine Reihe neuer Software und Technik-Produkte. Dazu gehören Farm-Management-Systeme, anhand derer Dünger-Applikationskarten erstellt werden können. Mit digitalen Ohrmarken können Bewegungsmuster vonMilchkühen analysiert und daraus Schlüsse für die Tiergesundheit gezogen werden. Meist werden aber vorhandene Techniken mit dem Einsatz digitaler Elemente weiterentwickelt. Beispiele sind die GPS-Steuerung von Traktoren und anderen Landmaschinen, die teilflächenspezifische Ausbringung von Nährstoffen mit dementsprechender Düngertechnik oder der Einsatz kameragesteuerter Beikrautbekämpfung durch Hackgeräte. Eine ausführliche Auflistung der unterschiedlichsten Technologien, die heute schon unter dem Titel „Precision Farming“ erhältlich sind, wäre nicht endendwollend. Das Projekt „Innovation Farm“ untersucht daher, welche für Österreich relevanten Anwendungen tatsächlich marktreif und einsatzfähig sind. Ebenso analysiert die Innovation Farm, welche Vorteile die Technologien unter welchen Rahmenbedingungen im Ackerbau, im Grünland und in der Tierhaltung bringen können.
Vorteile, Potenziale und Herausforderungen von Precison Farming
Unumstritten ist, dass der Digitalisierung in der Landwirtschaft eine Reihe großer Chancen nachgesagt wird. Allen voran die (Teil-)Lösung ökologischer Hausaufgaben, mit der die Landwirtschaft konfrontiert ist. Speziell die Bereiche Düngung und Pflanzenschutz (Stichwort „Green Deal“) wecken das Interesse vieler in der Agrarbranche. Aber auch das in den vergangenen Jahren prominente Thema des Arbeitskräftemangels schwingt hier immer wieder mit. Arbeitskräfte werden somit immer öfter durch Roboter ersetzt. Während erst kürzlich die ersten autonomen, selbstfahrenden Feldroboter zum Säen und Hacken in Österreich verkauft wurden, gibt es im Stall bereits langjährige Erfahrung mit Roboterlösungen im Melk- und Fütterungsbereich. Fragt man Landwirte, wo sie die großen Vorteile neuer Technologien sehen, ergibt sich ein ganz klares Bild:
Die meisten befragten Bauern erhoffen sich im Wesentlichen eine Arbeitserleichterung und Zeitgewinn. Weitere Motive, wie Qualitäts- oder Ertragsteigerung bzw. Erhöhung der Rentabilität, kommen erst deutlich dahinter.
Allerdings schrecken die Investitionskosten, laufende Lizenzgebühren und eine vor allem bei sehr neuen Innovationen ungewisse Kosten-Nutzen-Rechnung viele vor einzelbetrieblichen Anschaffungen ab. Hier können bewährte Lösungen wie überbetriebliche Zusammenarbeit und Maschinengemeinschaften helfen. Fehlende Informationen, Kompetenzen und Weiterbildungsangebote scheinen hingegen keine allzu großen Hürden zu sein. Rund 60 Prozent der Befragten gaben nach eigener Selbsteinschätzung an, genügend Knowhow für die zielgerichtete Anwendung von Precision Farming-Technologien aufzuweisen. Eine große Hürde, die vor allem in der Praxis immer wieder Probleme bereitet, sind fehlende Schnittstellen und unterschiedliche Datenformate je nach Technikhersteller. Hier wird es darauf ankommen, ob die problemlose Kommunikation zwischen Traktoren, Anbaugeräten, Ausbringungstechnik und Management-Software unterschiedlicher Marken ermöglicht bzw. vereinfacht wird. Sollten sich hier der eine oder andere größere Landtechnik-Player in Zukunft nicht mehr bewegen, könnte seitens der Politik überlegt werden, mit vorgegebenen Richtlinien zu Datenstandards oder mit der obligatorischen Öffnung ihrer Systeme einzugreifen.
Precision Farming in der GAP ab 2023
Auch in der neuen Agrarpolitik spielt die Förderung und Verbreitung von Wissen, Digitalisierung und Innovation eine wesentliche Rolle. Auf der einen Seite soll durch verstärkte Kooperation von Wissenschaft, Industrie, Bildung, Beratung und Praxis neues Wissen aus Forschung & Entwicklung praxisnäher und vor allem schneller auf den landwirtschaftlichen Betrieben ankommen. Auf der anderen Seite soll laut GAP-Strategieplan auch die Anschaffung ausgewählter Precision Farming-Technologien über die Investitionsförderung unterstützt werden. Im Besonderen betrifft dies Maschinen und Geräte in der Außenwirtschaft, wobei hier auch seitens der Bundesländer regionale Schwerpunkte gesetzt werden. Welche Technologien hier konkret in die Liste förderbarer Techniken aufgenommen werden, steht derzeit noch nicht fest. In der bisherigen Periode waren Investitionen in RTK-Spurführungssysteme und Lenkautomaten bereits förderfähig.
Digitalisierung auf den Boden bringen
Die Digitalisierung bietet unzählige neue Möglichkeiten in beinahe allen Bereichen des landwirtschaftlichen Lebens. So kann Robotik in der Innenwirtschaft den Betriebsführer zeitlich entlasten. Präzise Vorhersagemodelle und digitaler Applikationstechnik am Acker bieten Sparpotenzial für Betriebsmittel. Agrarsoftware erleichtert die Verwaltung sowie das Betriebsmanagement und durch Social Media sowie Online-Shops verringert sich die Distanz zum Endkonsumenten. Speziell bei Precision Farming-Technologien in der Landtechnik werden die nächsten Jahre spannend: Wo trennt sich die Spreu vom Weizen? Welche auf den ersten Blick zukunftsversprechenden Technologien setzen sich am Ende durch? Welche nicht und aus welchen Gründen? Werden wir im Bio-Ackerbau bald mehr autonom fahrende Feldroboter auf den Feldern sehen als menschliche Arbeitskräfte? Wird es bald selbstverständlich sein, auf Satellitendaten basierende Applikationskarten auf Landmaschinen zu übertragen, um Arbeitsschritte danach auszurichten? Werden tierindividuelle Sensoren im Pansen, am Ohr, um den Hals, usw. bald eher Regel statt Ausnahme? Stoppen Mähwerke zukünftig immer von selbst ihre Arbeit, wenn Sensoren in der Nähe Rehkitze orten?
Es braucht die passenden Rahmenbedingungen
Diese und weitere Fragen sind von einer Reihe von Rahmenbedingungen abhängig, die sowohl von Landtechnikindustrie, Agrarforschung und Agrarpolitik gestaltet werden müssen. Zentral ist dabei, das Vertrauen der Landwirte betreffend Funktionsfähigkeit, Reife und Verlässlichkeit der neuen Technologien zu gewinnen. Gleichzeitig darf es für die Endanwender schlicht kein Problem mehr darstellen, wenn Gerätekombinationen unterschiedlicher Hersteller bzw. Agrarsoftware von Dritten verwendet wird. Außerdem muss eine kluge und balancierte Förderpolitik ausgestaltet werden, damit Investitionsanreize und Marktreife einzelner Technologien gesteigert, und dabei gleichzeitig die Anschaffungskosten dieser Anwendungen mittelfristig durch Skaleneffekte verringert werden. Daneben muss eruiert werden, ob durch die Anwendung der genannten Techniken – neben einem zweifellos vorhandenen ökologischen Potenzial – auch für kleinstrukturierte Betriebe ein nachweisbarer betriebswirtschaftlicher Nutzen erzielt werden kann. Am Ende muss es gelingen, durch smarte, kosteneffiziente und in der Breite anwendbare Tools einen Mehrwert für Betriebe aller Betriebssparten zu generieren. Anforderungen der Praxis in der Produktentwicklung sind dann so zu berücksichtigen, dass tatsächlich Nutzen für die Betriebe entsteht. Daneben spielt auch die notwendige Breitbandinfrastruktur im ländlichen Raum eine wichtige Rolle. Außerdem müssen rechtlichen Unklarheiten geklärt sowie Vorgaben festgelegt werden, um die Datenhoheit zu wahren. Alle diese Punkte sind letztlich dafür ausschlaggebend, wie die digitale Transformation auf den landwirtschaftlichen Betrieben aussehen wird und wie schnell sie in den nächsten Jahren voranschreitet.
Beate Kraml ist seit 2022 Redakteurin im Agrarischen Informationszentrum (AIZ). Davor war sie für das Landwirtschaftsmagazin „top agrar Österreich“ tätig.
Martin Hirt ist Referent für Wissenstransfer und Innovation in der Landwirtschaftskammer Österreich. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte liegt im Bereich Digitalisierung & Neue Technologien.